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Auf dem Weg zum Klimaquartier: Billmerich

Der von privaten Einfamilienhäusern geprägter Ortsteil mit rund 2100 Einwohnern steht seit 2019 im Fokus der Stadt Unna sowie der Stadtwerke Unna und der Verbraucherzentrale.

Im Rahmen des Klimaquartier-Projekts erhalten die Billmericher vielfältige Beratungsangebote, so auch beim Klima-Tag im August. FOTOS: STADT UNNA

Thomas Heer unterwegs.
Thomas Heer unterwegs.

Als langjährige Teilnehmerin am European Energy Award hat die Stadt Unna ihren etwas abseits und von Feldern umrahmten Teil Billmerich auserkoren, wesentlich dazu beizutragen, künftig den Gold-Status beim Energy-Award (eea) zu erreichen. Dies dürfte für alle Beteiligten eine Win-Win Situation bedeuten, nicht zuletzt für das Klima. Klimaschutzmanager Thomas Heer beantwortete unsere Fragen zum Projekt.

War die Info-Veranstaltung am 19. August in Billmerich gut besucht, auch verglichen mit früheren Veranstaltungen dort?
,,Bisher haben wir im Ortsteil Billmerich drei größere Präsenzveranstaltungen durchgeführt. Diese fanden aufgrund der Corona-Pandemie teils auch als hybride Veranstaltung statt (..). Am 30. Januar 2020 haben wir die Ergebnisse des Integrierten Energetischen Quartierskonzeptes vorgestellt, am 7. Oktober 2021 das Energetische Sanierungsmanagement offiziell gestartet und nun am 19. August 2022 den Billmericher Klima-Tag durchgeführt, einen bunten Energie- und Klimaschutz-Beratungstag für die ganze Familie. Bisher kamen zu allen Veranstaltungen jeweils mehr als 100 interessierte Bürger*innen, was im Angesicht der schwierigen Pandemie-Rahmenbedingungen und der Größe des Ortsteils eine sehr erfreuliche Resonanz darstellt. Dies unterstreicht auch noch einmal das große Interesse an Energie- und Klimaschutz-Themen und den hohen Beratungsbedarf von Haushalten bei den vielschichtigen Fragestellungen zur Energie- und Wärmewende. Hier versuchen wir mit einem breiten und kostenlosen Beratungsangebot für Billmericher Haushalte zu unterstützen. Das von der KfW-Bank geförderte Projekt läuft zunächst bis zum Sommer 2024 und wird in Kooperation zwischen der Kreisstadt Unna, den Stadtwerken Unna, dem Ingenieurbüro energielenker, der Verbraucherzentrale und einem auf Energie-Themen spezialisierten Marketingbüro durchgeführt."

Es wurden bereits rund 120 Beratungen durchgeführt, wie viele Haushalte gibt es insgesamt in Billmerich? „In Billmerich gibt es rund 550 Haushalte, die wir im Rahmen des Projektes mit Hilfe unserer Expert*innen energetisch Beraten möchten. Einer der Experten ist Frederic Hoogen vom beauftragten Ingenieurbüro energielenker projects GmbH, der als Sanierungsmanager sogenannte Sanierungsfahrpläne erstellt und insbesondere auf Fragen zur energetischen Gebäudesanierung, z. B. der Dach- und Fassadensanierung oder dem Fenstertausch, eingeht. Der zweite Fachmann ist Julian Thörner von den Stadtwerken Unna, der insbesondere zu Themen wie Photovoltaik, Heizungstausch, Elektromobilität und Glasfaser berät. Als neutrale Instanz unterstützt uns zudem die Verbraucherzentrale NRW. Zentrale Ansprechpartnerin hierbei ist die in Unna ansässige Architektin und Astrid Energieberaterin Stadtmüller.
Seit Start im Oktober 2021 haben sich bereits 43 Billmericher Haushalte im Rahmen des Projektes beraten lassen, vier davon haben einen detaillierten Sanierungsfahrplan zur energetischen Ertüchtigung der Immobilie erstellen lassen. Wenn diese Haushalte nun auch sukzessive geplante Maßnahmen umsetzen, sprechen wir von einer Sanierungsquote für das Quartier von bis zu 8 Prozent. Das ist schon sehr gut! Im Vergleich liegt der Bundesdurchschnitt bei etwa 1 Prozent.
Laut Umweltbundesamt benötigten wir für die Erreichung der Klimaziele eine Sanierungsquote von 2,5 bis 3 Prozent. Das ist unser Mindestziel für Billmerich. Durch entsprechendes Nachfassen möchten wir nun natürlich auch schauen, wie erfolgreich das Projekt läuft, indem wir unter anderem umgesetzte Maßnahmen und deren CO2-Einsparungen ermitteln.

Wie hat sich das Interesse der Bürgerinnen in den letzten Monaten entwickelt?
„Seit dem Krieg und den angestiegenen Energiepreisen ist die Nachfrage zu Energiealternativen, insbesondere bei den Themen Photovoltaik und Wärmepumpen, enorm angestiegen. Das merken wir nicht nur im Projekt Billmerich, sondern in der gesamten Kreisstadt Unna. Unsere Kooperationspartner, die Stadtwerke Unna und die Verbraucherzentrale berichten uns, dass die Nachfragen seit den letzten Monaten explodiert sind. Um der Nachfrage annähernd gerecht werden zu können, musste die Verbraucherzentrale ihre Beratungsangebote umstellen, sodass Beratungen nur noch online oder per Telefon möglich sind. Von montags bis donnerstags gibt es zu unterschiedlichen Schwerpunkt-Themen Online-Beratungen, für die man sich über die Internetseite www.verbraucherzentrale.nrw/unna anmelden kann. Die Stadtwerke Unna bieten unter www.sw-unna.de/energie-sparen hilfreiche Tipps für den Alltag an. Im Klimaschutz zitieren wir häufig die Binsenweisheit: Die klimafreundlichste, günstigste Energie ist die, die erst gar nicht verbraucht wird."

Kann man sagen, welches Thema am Infotag am meisten nachgefragt wurde?
„Beim Billmericher Klima-Tag haben sich interessierte Bürger*innen insbesondere über Alternativen zu einer Gasheizung informiert. Auch das Thema Photovoltaik ist im wahrsten Sinne heiß begehrt. Das ist natürlich im Zuge der großen Unsicherheiten und drohenden Mehrkosten für Strom und Wärme verständlich und erklärbar. Zudem gab es viele interessierte Fragen zur Elektromobilität, beispielsweise der Installation einer Wallbox. Auch Nachfragen zur energetischen Sanierung der Gebäudehülle erreichten die Expert*innen an den unterschiedlichen Beratungsständen. Vor allem, weil viele Haushalte über die Nachrüstung einer Wärmepumpe nachdenken, hat auch der Informationsbedarf für die Energetische Gebäudesanierung eine neue Dynamik erfahren, da ein wirtschaftlicher Betrieb einer Wärmepumpe erst durch eine effiziente, gut gedämmte Gebäudehülle möglich wird."

Die Beratungsangebote beschränken sich auf BürgerInnen aus Billmerich. Gibt es auch Anfragen von BürgerInnen anderer Stadtteile, in ihren Stadtteilen ähnlich intensiv zu beraten?
„Da das Projekt in Billmerich durch die KfW gefördert und in diesem Zusammenhang als Quartier scharf abgegrenzt wurde, beläuft sich das Sanierungsmanagement auf Billmerich. Natürlich erreichen uns Anfragen aus anderen Stadtteilen. Als Klimaschutzmanager verweise ich auf die vielfältigen Beratungsangebote, die hier in Unna für alle Bürger*innen bestehen. Beispielsweise wäre hier die städtische Kooperation mit der Verbraucherzentrale zu nennen. Das Umweltberatungszentrum im Unnaer Rathaus ist als erste Anlaufstelle dienstags von 9:30 bis 13:30 Uhr und donnerstags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Hier gibt es unter anderem Infos zu den Themen Klima, Energie und Umwelt. Zur Identifikation von Stromfressern im Haushalt können kostenlos Strommessgeräte ausgeliehen werden. Auch die Stadtwerke Unna, beraten interessierte Bürger zu EnergieThemen. "

Wurden schon private Projekte im Rahmen des Quartierskonzeptes begonnen oder komplett umgesetzt?
„Wie viele der bisher beratenen Haushalte schon Maßnahmen umgesetzt haben, kann ich aktuell noch nicht benennen. Da wir nun seit ungefähr einem Jahr Beratungen durchführen, geht es demnächst aber genau um diese Frage, also um das Nachfassen und Erfragen, ob und welche Maßnahmen umgesetzt wurden. Uns interessiert natürlich insbesondere, wie viel CO2 durch Maßnahmen eingespart wird und wie sich die Sanierungsquote und -aktivität im Quartier verändert. Aktuell hohe Lebenshaltungskosten, drohende Inflation, Wartezeiten bei Technik und Handwerk bremsen viele sanierungswillige Immobilieneigentümer aus, das ist deutlich zu spüren."

Momentan ist es schwierig, Sanierungen durchzuführen. Gibt es deswegen für Teilnehmerinnen am Quartiersprojekt Extra-Unterstützung oder die Möglichkeit, über den festgesetzten Zeitraum hinaus Hilfestellung zu erhalten, wenn Projekte derzeit nicht realisiert werden können?
„Bezüglich der Handwerksleistungen und Lieferzeiten der Technik gibt es im Rahmen des Projektes keine Bevorzugungen für den Ortsteil. Das durch die KfW-geförderte Sanierungsmanagement ist für zunächst drei Jahre, also noch bis September 2024 ausgelegt und bietet wie schon beschrieben, eine intensive Beratung und Maßnahmenbegleitung durch den Sanierungsmanager und die begleiteten Experten von Stadtwerken und Verbraucherzentrale.
Fakt ist also, dass den Billmerichern noch genug Zeit bleibt, um energetische Maßnahmen  mit unserer Begleitung umzusetzen. Wenn es nicht die großen, technischen Lösungen sein können, gibt es auch viele vermeintlich kleinere, versteckte Energieeinsparmaßnahmen, die im Rahmen einer Vor-Ort-Beratung identifiziert werden können."

Sind die negativen Auswirkungen der aktuellen Krisen auf das Projekt größer oder die positiven?
„Ehrlich gesagt die Negativen. Erst war Corona, was die Face-to-Face-Beratung und Organisation von Aktionen und Veranstaltungen erschwert hat. Und nun sind es finanzielle Unsicherheiten durch eine drohende Inflation, volle Auftragsbücher und lange Lieferzeiten der Technik, was die Umsetzung von Maßnahmen zusätzlich erschwert. Wir spüren die große Bereitschaft der Haushalte, an der Energiewende und am Klimaschutz mitzuwirken, aber es herrscht auch eine große Verunsicherung.“

Im Konzept wird noch auf Gas als Energieträger gesetzt. Wie reagieren Sie auf die veränderten Bedingungen im Gassektor? Gab es Überlegungen, das Konzept diesbezüglich neu zu schreiben?
,,Da haben Sie Recht. Eigentlich müssten alle alten Konzepte, die noch das Thema Erdgas als sogenannte Überbrückungstechnologie enthalten, neu aufgesetzt werden. Dies würde aber zu viel Zeit und Geld kosten. Effizienter ist es - und das haben wir getan - die Beratungsangebote an die aktuelle Situation anzupassen. Haushalten mit Erdgasheizungen versuchen wir Alternativen aufzuzeigen.
Eine erste und nicht besonders teure Effizienzmaßnahme stellt die korrekte Einstellung der Heizung mittels eines hydraulischen Abgleichs dar. Eine Solarthermieanlage oder eine Photovoltaikanlage gekoppelt, an einen Warmwasserspeicher, sind Beispiele für hybride Heizungssysteme. Besitzt das Haus einen höheren Dämmwert, Z. B. durch ein neues Dach, Fassadendämmung und isolierte Fenster, lohnt sich eventuell ein Wechsel zu einer Wärmepumpe. Das wären alles Fragen, die unsere Energieexperten vor Ort mit den Haushalten entsprechend erörtern könnten."

Hat sich bereits eine Lösung für die weitere Nutzung der drei Billmericher Windräder ergeben?
,,Diesbezüglich finden aktuell Prüfungen und Beratungsgespräche zwischen der Kreisstadt Unna und den Stadtwerken Unna statt. Womöglich haben sich im Zuge der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen zum beschleunigten Ausbau der Energiewende durch die Bundesregierung neue Rahmenbedingungen u. a. im Bezug auf Drehfunkfeueranlagen von Flughäfen ergeben, die einen langfristigen Weiterbetrieb der Anlagen bisher erschwert haben."

Warum wurde eigentlich Billmerich für das Projekt ausgewählt?
,,Insbesondere die Windkraftanlagen waren ein entscheidendes Auswahlkriterium, da diese nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung herausgefallen sind und nach einer Nachnutzung geforscht wurde. Hierfür hatte sich angeboten einmal zu analysieren, wie viel Energie eigentlich in dem Ortsteil verbraucht wird, der in direkter Nachbarschaft zu den Anlagen liegt und das war eben Billmerich. Im Rahmen des Energieteams aus dem European Energy Awards, bei dem die Kreisstadt Unna und die Stadtwerke Unna seit 2013 erfolgreich zusammenarbeiten, ist die Idee der Erstellung des von der KfW geförderten Energetischen Quartierskonzeptes entstanden, das von dem Ingenieurbüro Energielenker entwickelt wurde. Das Sanierungsmanagement ist dann der nächste Schritt gewesen, die ermittelten CO2- und Energieeinsparpotenziale vor Ort zu heben.
Wir haben aber immer betont und so ist es auch, dass wir die Erfahrungen und Maßnahmen auch auf andere Ortsteile übertragen möchten. In Unna stehen zu 80 Prozent Einfamilienhäuser, deshalb ist gerade Billmerich, ein von Einfamilienhäusern geprägter Ortsteil, in dem aktuell ein Generationenwechsel stattfindet und viele Häuser einen Sanierungsstau aufweisen, der für uns optimale Pilot-Ortsteil." 

Die Bürgerinnen und Bürger wurden gefragt, was ihr Leben in Billmerich verbessern würde. Eine bessere Anbindung an den ÖPNV war eine der genannten Wünsche.
„Durch Erfahrungen aus dem Quartier und dem ausbaufähigen ÖPNV-Angebot der ländlichen Ortsteile, haben wir im Rahmen der Erstellung des gesamtstädtischen Klimaschutzkonzeptes einen sogenannten Bürgerbus als Maßnahme in das Handlungsprogramm aufgenommen. Als erster Schritt ist bereits für 2023 die Gründung eines Bürgerbus-Vereines, bestehend aus ehrenamtlichen Fahrer*innen und Unterstützer*innen, geplant. Die Finanzierung des Fahrzeuges kann mittels eines Sponsorings gedeckt werden.
Toll zum Projekt Billmerich würde natürlich ein Elektrobus passen, der mit dem Ökostrom der Stadtwerke Unna aufgeladen werden könnte. Ein Bürgerbus kann insbesondere in den Abendstunden und am Wochenende Fahrplanlücken des ÖPNV füllen. Ein weiterer Maßnahmenansatz aus dem gesamtstädtischen Klimaschutzkonzept der Stadt wäre die Erweiterung bestehender Carsharing-Angebote, mit dessen Prüfung wir uns aktuell bereits beschäftigen."

Wie steht es um die gewünschte Anbindung an das Glasfasernetz?
Die Stadtwerke haben schon Glasfaserleitungen in Billmerich verlegt. Im Rahmen des geförderten Ausbaus werden die Stadtwerke bald ein erweitertes Angebot erstellen und dieses in einer kommenden Bürgerversammlung vorstellen.

Ein weiterer wichtiger Bürgerwunsch war die Möglichkeit zu altersgerechtem Wohnen in Billmerich.
„Über die in Sanierungsmanager des Quartiersprojektes, die Beratungsangebote der Verbraucherzentrale NRW und die Koordinierungsstelle Sozialplanung, Demografie und Senioren der Kreisstadt Unna können sich interessierte Senioren aus Billmerich umfangreich über Aspekte des altersgerechten Wohnens beraten lassen. Bei durchzuführenden Sanierungsthemen am Haus ist es übrigens ratsam das Thema Barrierefreiheit frühzeitig mit einzuplanen, was spätere Aufwände und zusätzliche Kosten einsparen kann."

Das Ingenieurbüro kam in seinem Konzept für Billmerich zu dem Schluss, dass kein weiterer Ausbau des Radwegenetzes nötig sei, weil das Verkehrsaufkommen nicht besonders hoch sei. Wie sehen Sie das als Klimaschutzmanager?
„Aus meiner Sicht als Klimaschutzmanager würde ich das so auch nicht unterschreiben wollen. Insbesondere weil für Billmerich Ähnliches gilt, wie für den Rest der Kreisstadt Unna. Ein Großteil der CO2-Emissionen entsteht durch den Verkehrssektor, sodass wir neben der Energiewende auch eine Verkehrswende benötigen. Von und nach Billmerich gibt es zwar mit dem Bornekamp-Radweg eine gute Anbindung an die City, aber manchen Billmerichern fehlt eine Beleuchtung. Die gibt es auch nicht auf der Straße am Ostenberg. Das kostet dann natürlich Energie, aber erhöht gleichzeitig sicherlich die Nutzung des Fahrrades, was wiederum CO2 einspart. Das ist dann eine Frage der Abwägung und Realisierbarkeit.
Zudem gibt es ein Problem mit LKWs, die durch Billmerich Staus auf der Autobahn umfahren oder abkürzen. Dies wird im Ortsteil generell als große Belastung und Gefahrenquelle wahrgenommen."