Es ist selten, dass Einwohner nach ihren Wünschen für Neuanschaffungen durch die Stadt befragt werden und dass dafür direkt ein Etat zur Verfügung gestellt wird. In Kamen hat sich diese Praxis, genannt Bürgerhaushalt mittlerweile etabliert. Die Idee dazu wurde in den 1980er-Jahren in Brasilien, genauer gesagt in Porto Alegre, entwickelt, um die Bürger mehr in städtische Belange einzubeziehen und um Korruption zu unterbinden.
Natürlich hat ein Bürgerhaushalt einer Stadt wie Porto Alegre mit 81 Stadtvierteln und einer Bevölkerung von rund 1,5 Millionen Einwohnern andere Dimensionen als derjenige in Kamen. Aber auch die zu verplanenden Beträge in Kamen können sich sehen lassen: Insgesamt darf 2023 der Betrag von 45.000 Euro auf der Basis von Bürgermitbestimmung ausgegeben werden. Aufgerundet ergibt das 21.000 Euro für Kamen-Mitte, 11.350 Euro für Kamen-Methler, 8.200 Euro für Kamen-Heeren-Werve sowie 4.600 Euro für Kamen-Südkamen.
Die Entscheidung für ein Projekt erfolgt unmittelbar
Während viele politische Entscheidungen hinter verschlossenen Türen beraten werden und mit langwierigen Prozessen belegt sind, kann beim Bürgerhaushalt jeder Anwesende Vorschläge einbringen, sie begründen und bewerben und weiß zeitnah, ob das Projekt die Zustimmung der Mehrheit aller Beteiligten gefunden hat, oder eben nicht.
Nach Vorstellung aller Projekte wird eine offene Abstimmung durchgeführt, durch die alle Projekte je nach Beliebtheit in eine Ranking-Liste eingetragen werden. Etwas Bürokratie bleibt allerdings vor der Umsetzung noch bestehen: Die Verwaltung prüft, ob und wie sich die Ideen realisieren lassen, bevor der Rat der Stadt Kamen die Umsetzung beschließt.
Sitzbänke, Trommeln und Bürgerfeste
Hinsichtlich der Projekte gibt es keine strengen Vorgaben, es kann alles vorgeschlagen werden, von dem die Bürger meinen, dass es ihr Leben in der Stadt Kamen besser und lebenswerter macht. Die Gelder können auch für Stadtteilfeste genutzt werden, die zwar keinen dauerhaften Bestand haben, dafür aber einen hohen ideellen Wert besitzen.
Bisher wird das Projekt Bürgerhaushalt von den Kamenern sehr gut angenommen. Im Jahr 2022 konnte coronabedingt sogar ein doppelter Bürgerhaushalt verplant werden, davon wurden insgesamt 66 Projekte finanziert.
Naheliegend bis skurril: die Wünsche der Bürger
In Südkamen wurden im vergangenen Jahr beispielsweise „Bernie-Brems-Figuren" für einen sichereren Schulweg angeschafft, es wurden eine Außenrutsche für die Ev. Kita „Unter dem Regenbogen" und ein neuer Bücherschrank finanziert.
In Methler wurden bereits in der Kleingartenanlage Westick-Kaiserau Bänke im Spielplatzbereich aufgestellt und im Bürgerhaus konnte ein Trommel- und Rhythmusseminar mit Kindern veranstaltet werden.
Die Heerener haben sich neue Sitzgruppen im Außenbereich des Cafés im alten Pfarrhaus gewünscht. Außerdem wurde das Außengeländes am Ev. Jugendheim aufgewertet.
In Kamen-Mitte wurde das Bürger- und Begegnungsfest „Herzlich WillKamen" für Geflüchtete und Altbürger mit Bürgerhaushaltsgeld finanziert. Außerdem wurde eine Besonderheit, nämlich eine Lachhaltestelle in der Innenstadt eingerichtet, an der sich Menschen bei Bedarf per QR-Code Tipps rund um Lachyoga anzeigen lassen können. Der Verein „Laut & Lästig" e.V., der sich für die Förderung der Kamener Amateurmusik einsetzt, bekam einen Transportanhänger für Koffer und Equipment gesponsert.
Man darf gespannt sein, welche Wünsche in diesem Jahr umgesetzt werden.