Anders als uns Werbung oder Hollywood-Klassiker vorgaukeln, ist Weihnachten nicht immer der Höhepunkt des Jahres. Statt der ersehnten Harmonie fliegen die (Wort-)Fetzen. Doch wie damit umgehen?
Spätestens an Heiligabend liegen die Nerven bei vielen blank. „Das macht empfindlich und angreifbar“, sagt Piroska Gavallér-Rothe, Trainerin für Wertschätzende Kommunikation. In dieser Verfassung sei man nur einen Funken weit entfernt vom nächsten Krach. Die Expertin aus dem Schweizer Salenstein rät deshalb, To-Do-Listen radikal zu verschlanken.
1. Stress entlarven
Machen Sie einen Check: „Was sind die Zeitesser im Advent und an Weihnachten?“ Piroska Gavallér-Rothe gibt Frage-Anstöße: Was war schon im letzten Jahr nicht so prickelnd? Muss das übliche Treffen mit alten Klassenkameraden immer im Dezember sein? Geht das nicht auch im Sommer? Können nicht Oma und Opa mit zur Kitafeier? Müssen wirklich dringend noch Plätzchen gebacken werden?
2. Kreative Stoppschilder gegen Giftpfeile
Aber auch mit einer entrümpelten Adventszeit droht statt dem ersehnten harmonischen Fest viel Ungemach. Oft reicht eine blöde Bemerkung oder ein fieser Giftpfeil und der süße Duft nach gebrannten Mandeln und Glühwein vermischt sich mit dicker Luft.
Dagegen schlägt Gavallér-Rothe ein Familienprojekt vor: Basteln Sie zusammen lustig gestaltete Reminderschilder, die überall in der Wohnung bereitstehen. „So kann man humorvoll und ohne laut zu werden zum Ausdruck bringen, dass sich jemand gerade einem Minenfeld nähert.“ Auf den Schildern könnte etwa stehen: „Adventsgefahrenzone“ oder „Kurz mal Pause machen!“
3. Wo wird gefeiert? Das legt Jahresprogramm fest
Laut einer YouGov-Umfrage bestätigt jeder Vierte, dass es an Weihnachten in der Beziehung immer oder gelegentlich zu Streitereien kommt. Jeder dritte Streit (34 Prozent) dreht sich dabei um den Ablauf und die Organisation der Weihnachtstage. Also ist schon die Frage, wo das Fest verbracht werden soll, ein Minenfeld.
„Viele empfinden es so, dass sie keine Wahl haben und die Erwartungen der Eltern bedienen müssen. Jeder Partner kämpft dabei dann um sein Pflichtprogramm“, erklärt der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger. Sein Rat: „Wer diese Diskussion nicht alle Jahre wieder haben möchte, macht aus dem Pflicht- ein Jahresprogramm.“ So legt man am Anfang des Jahres fest, wo Ostern und Weihnachten verbracht werden - und das wechselt dann jedes Jahr zwischen Eltern und Schwiegereltern.
4. Weniger Perfektion, mehr Gelassenheit
Weil laut Krüger jede dritte Trennung nach Weihnachten vollzogen wird, spricht er sogar vom „Fest des Streits“. Die Gründe dafür lägen auf der Hand: „Die Ursache ist, dass zu Weihnachten Menschen mit lauter ungelösten Konflikten zusammenkommen. Man besucht sich meist nicht aus Sympathie, sondern weil Anwesenheitspflicht herrscht.“
Das sei wie eine Theatervorstellung, bei der im Drehbuch stehe, dass es friedlich und harmonisch ablaufe. „Das muss einfach scheitern!“, sagt Wolfgang Krüger. „Da spielen auch völlig surreale Erwartungen mit rein“, sagt Piroska Gavallér-Rothe. Man solle sich klar machen: „Weihnachten ist wirklich nur in der Werbung und in Hollywoodfilmen perfekt.“ Daher brauche es fürs Fest bei Otto Normal mehr Gelassenheit und weniger Perfektion. Wolfgang Krüger empfiehlt sogar, mit Streit zu rechnen.
5. Schon vorm Streit Ausstiegsszenarien planen
Und wenn es wieder so weit ist? Opa weiß alles besser, der Partner fährt einem über den Mund, die Mutter stichelt, die alte Leier à la „Wann machst du denn endlich mal Karriere? Wann ist mit einem Enkel zu rechnen?“ setzt ein. Laut den Experten sollte man sich schon zuvor ein paar Ausstiegsszenarien überlegen.
„Was uns Weihnachten um die Ohren fliegt, sind nicht die Themen, sondern wie wir als Familie über die Themen reden. Weihnachten ist wie ein Vergrößerungsglas und zeigt überdeutlich, was wir auch sonst im Austausch miteinander vermissen“, analysiert Gavallér-Rothe.
Die Autorin von „Wertschätzend Klartext reden“ stellt klar: Wenn es an Weihnachten kracht, geht es immer auch um das persönliche Unvermögen der Beteiligten, verbindend kommunizieren zu können. Unbewusst ungeschickt gewählte Formulierungen führen dann dazu, dass sich sogar Menschen verletzen können, die sich im Grunde lieben.
Es gäbe klare Anzeichen dafür, dass das Eis dünn wird: Das ist der Fall, wenn Gespräche schneller werden. Oder lauter. Oder ständig ein „Ja, aber“ vorkommt. Dann sollte man die Pause-Taste drücken.
Ein Satz, der vor einer Eskalation retten könne, ist: „Ich merke gerade, wie ich bei diesem Thema Stress bekomme und eine Pause brauche. Ich gehe mal kurz an die frische Luft.“ Und wenn einem zum Heulen zumute ist, sei es gut, wenn man im Vorfeld mit zwei, drei Menschen vereinbart hat, dass man anrufen kann: „Tränen dort zu vergießen, wo Sie darauf vertrauen können, dass man Sie auch versteht - das hat viel mit einem achtsamen Umgang mit sich selbst zu tun“, sagt Gavallér-Rothe.
6. Wechsel zu Themen am Rande der Absurdität
Bei schwierigen Themen rät Wolfgang Krüger auch zu einem Schuss Humor: „Manchmal hilft ein Themenwechsel mit einer Frage am Rande der Absurdität“, so der Psychotherapeut. Beispiele: Der Karriere-Frage kontert man mit „Wie alt wollt ihr werden?“, der Kinder-bekommen-Frage mit „Sollen wir lieber schon mal unser Testament schreiben?“.
7. Der Fremde an der Festtafel
Krüger hat noch einen kreativen Tipp, um sich dem üblichen Clinch zu entziehen: „Laden Sie sich einen Freund oder eine Kollegin mit ein! Sobald jemand Fremdes mitfeiert, hört die vertraute Dynamik auf.“ Das sei wie eine Schere im Kopf. Alle reißen sich zusammen, weil sie denken: Was wird der oder die sonst über uns sagen?