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Zwei Jahre als junge Lehrerin an einer Kamener Volksschule

Gertrud Bäumer wurde durch ihr Engagement in der Frauenbewegung und ihre vielfältigen politischen und publizistischen Aktivitäten bekannt. Eine Straße in Kamen erinnert noch heute an sie.

Gertrud Bäumer war zeitweise Volksschullehrerin in Kamen. Sie trat mit 19 Jahren ihre erste Stelle in der Sesekestadt an, wohin sie familiäre Beziehungen hatte. Sie war Mitgründerin der Deutschen Demokratischen Partei und zog 1919 in die Nationalversammlung ein. FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA

Auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Monopol existiert seit 1992 die Gertrud-Bäumer-Straße. Doch wer war die Namensgeberin überhaupt und wieso wurde die Straße nach ihr benannt? Wir begeben uns auf Spurensuche: 

Gertrud Bäumer wurde gerade erst 19 Jahre jung, als ihr die schulische Verantwortung für 70 Schülerinnen und Schüler an der Volksschule der reformierten Gemeinde Kamen übertragen wurde: Am 1. Oktober 1892 begann Gertrud Bäumer ihre Tätigkeit als Volksschullehrerin. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie immerhin bereits die Höhere-Töchter-Schule in Halle an der Saale absolviert, ein Lehrerinnenseminar in Magdeburg besucht sowie zwei Lehrproben absolviert. Die Arbeit mit Kindern hatte sie „autodidaktisch“ bei der Begleitung von Kindergottesdiensten erprobt. Der Lehrerinnenberuf war einer der wenigen, die damals als standesgemäß für junge Frauen erachtet wurden.

Eine Schullaufbahn hat Gertrud Bäumer möglicherweise auch deswegen gewählt, weil ihr Vater bis zu seinem frühen Tod als Kreisschulinspektor in Pommern gearbeitet hat. Und dass sie sehr früh beschloss, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen, hing ebenfalls mit ihm zusammen: Als der Vater starb, musste die Mutter mangels ausreichender Witwenpension ihr Leben und das ihrer drei Kinder völlig umkrempeln und wieder in das Haus ihrer eigenen Mutter zurückkehren, das in Halle an der Saale lag. 

Man verwuchs rasch mit dem eigentümlichen Lande

1992 eine Straße auf dem ehemaligen Monopol-Zechengelände nach Bäumer benannt. FOTO: LEA NIEHAGE
1992 eine Straße auf dem ehemaligen Monopol-Zechengelände nach Bäumer benannt. FOTO: LEA NIEHAGE

Die Stelle in Kamen, die ihr durch ihren Onkel, einen Pfarrer, vermittelt worden war, brachte Gertrud Bäumer ein Einstiegsgehalt von 980 Mark pro Jahr ein. Während der zwei Jahre an der Kamener Volksschule lebte sie auch im Pfarrhaushalt ihres Onkels. Vormittags unterrichtet sie, nachmittags begleitet sie ihn bei Besuchen in den Familien und bekam so tiefe Einblicke in die Lebensverhältnisse der Kamener.

Sie fühlte sich verbunden und nahm Anteil an freudigen Ereignissen wie Kindtaufen sowie am Entsetzen während eines Grubenunglücks. Eigentlich sei die Region ackerbürgerlich geprägt, so schreibt sie, aber eine Zeche als Arbeitgeber habe bereits dazu geführt, dass viele Menschen aus Oberschlesien neu zugezogen waren und weitere ihre Tätigkeiten als Kleinlandwirte und Handwerker zu Bergleuten geworden waren. 

Ein Ofenrohr mit Tauben quert das Klassenzimmer

Ihre Beschreibung der Zeit in Kamen ist sehr detailliert und lässt ihre Eindrücke und auch die Probleme, mit denen sie zu tun hatte, sehr lebendig werden. Da dies ihre erste Stelle als Lehrerin war, hat sie auch bei der Niederschrift ihrer Lebenserinnerungen noch alle Kindergesichter und deren Eigenheiten vor Augen.

Es wird deutlich, wie schnell sich Gertrud Bäumer an die Gegebenheiten angepasst hat und wie sie auf die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler einging – lange bevor es dafür Begriffe wie „Individueller Förderbedarf“ gab. So behielt sie vier ältere Mädchen, die noch nicht lesen konnten, täglich länger in der Schule, um ihnen dabei zu helfen, diese Fähigkeit zu erlernen. Ältere Kollegen nannten das „unmöglich.“ Sie fand sich selbst rückblickend naiv und reflektierte, dass sie für ihre erste Stelle, bei der sie den gesamten Unterricht für 70 Kinder erteilte, eigentlich nicht genügend qualifiziert war. 

Angesichts der dürftigen Ausstattung der Schule und der Probleme, die die Schulkinder tagtäglich zu bewältigen hatten, trat das in den Hintergrund. Schon am allerersten Arbeitstag kamen die Kinder „durchgeregnet“ in der Schule an, und Bäumer musste sich überlegen, wie damit umzugehen sei. Schnell begriff sie, dass es mehr auf die gemeinsame Bewältigung des Alltags als auf Methoden der Lehrstoffvermittlung ankam.

Allerdings begnügte sich Bäumer nicht mit ihrer Ausbildung, sondern studierte als Gasthörerin an der Universität Berlin und wurde 1904 für ihre Arbeit über Goethe promoviert. Gemeinsam mit Helene Lange, ihrer Lebensgefährtin, war sie in der Lehrerinnen- und Frauenbewegung aktiv. In Sachen Lebensstil waren beide ihrer Zeit voraus. 1919 zog Bäumer dann als Mitgründerin der Deutschen Demokratischen Partei in die Nationalversammlung ein.