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Langsam kommt die Leichtigkeit wieder zurück

Im Dezember wird der feste Circusbau im Kurpark Unna wieder Anziehungspunkt für treue Fans und neue Circusliebhaber: Die Show "Amado" wird präsentiert. Circusleiterin Melanie Talotti erzählt von ihrer Arbeit.

Vom Programm bis zu den benötigten Kostümen - der Alltag im Circus erfordert viel Einsatz.

Circus Travados ist etwas Besonderes. Das kann man ohne Übertreibung so feststellen, denn außer Travados gibt es deutschlandweit nur noch einen festen Circusbau: den von Circus Krone in München. Aber während Krone ein profitorientiertes Wirtschaftsunternehmen  ist, setzen die Travados-Leute mit ihrem Verein Bempostas e.V. vor allem auf persönliches Engagement. Es ist zwar so, dass auch in letztendlich Unna Geld fließt, aber wie Melanie Talotti im Telefoninterview beschreibt: „Man muss hier das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen, damit es zur Tür wieder hereinkommt." Deswegen ist das diesjährige Programm trotz Energiekrise kein Event auf Sparflamme. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder beim Proben im Warmen sitzen" und auch bei den Vorstellungen wird es angenehme Temperaturen für die Zuschauerinnen und Zuschauer geben. Es ist nicht so, dass der Circus in diesem Winter deswegen besondere Fördergelder zu erwarten hat: „Wir bekommen einen festen Betrag, so wie alle anderen Einrichtungen auch. Am Ende haben alle diese Sorgen", stellt Melanie Talotti fest. Aber sie weiß auch: „Das Engagement unserer Leute ist unbezahlbar."

Mit Mut und Leidenschaft

Im nächsten Jahr wird Travados 40 Jahre alt. 1983 hat sich Hartmut Hoffmeister mit Doro Preuß als einer der Ersten an die Gründung eines Circusses für Kinder und Jugendliche gewagt. Damals bestand dieser noch aus Bauwagen, die im Sommer auf große Tournee gingen und im Winter ihr Lager in der Stadt aufschlugen.

Mittlerweile gibt es den festen Standort Kurpark, in einem gemauerten Festzelt für 500 Zuschauer und mit einem Gelände, das auch die Haltung von Tieren möglich macht. „Unna kann stolz sein, dass wir das hier mit ganz viel Leidenschaft machen." In den vergangenen Jahrzehnten hat Travados allen Widrigkeiten getrotzt.

Die letzten zwei Jahre waren besonders hart. 2020 konnten keine Vorstellungen stattfinden - und 2021? ,,Am Ende haben wir es einfach gemacht. Alles war zu, aber bei Travados gab es Vorführungen, sogar mit Liveband. Auch wenn es eine wirtschaftliche Katastrophe war, denn die Tickets hatten wir schon zwei Jahre vorher verkauft. Das Geld war längst ausgegeben. In engem Kontakt mit dem Gesundheitsamt wurden alle Auflagen erfüllt. Statt vor 500 Menschen haben wir vor 100 bis 150 Zuschauern gespielt."

Der dauernde Schwebezustand sei für alle eine große Belastung gewesen. Vor allem die Kinder brauchten Verlässlichkeit, so die gelernte Sozialpädagogin Talotti. „Sicherheit im Nacken zu haben ist wichtig." Deswegen übernahm und übernimmt sie die Verantwortung und sagt: „Wir machen es. Der eine wird es naiv finden, aber man braucht Mut, sonst braucht man den Job gar nicht machen."

Das gilt auch für die Kinder und Jugendlichen, die bei Travados mitmachen. Circusnummern einzustudieren ist herausfordernd. „Wir starten im Januar mit einem neuen Programm." Der Titel entsteht jeweils passend zu aktuell wichtigen Themen der Jugendlichen, damit sich die rund 120 Schülerinnen und Schüler, die jedes Jahr dabei sind, auch einbringen können. „Wir haben eine sehr lange Verweildauer in unserem Circus. Die meisten Kinder kommen mit acht Jahren zu uns und bleiben, bis sie zum Studium wegziehen."

Momentan sind die ältesten Ensemblemitglieder 23 Jahre alt. Manche bleiben sogar noch länger, werden professionelle Artisten und/oder arbeiten bei Travados mit, so wie Melanie Talotti, die ebenfalls seit ihrem achten Lebensjahr Travados-Mitglied ist.

Es geht dabei nicht nur um die körperliche Beweglichkeit, die vor allem Außenstehende wahrnehmen. „Wenn die Kinder hier fertig sind, hoffe ich, dass es kleine Persönlichkeiten sind, die klarkommen. Es kann sie vielleicht nicht SO schnell was schocken: Sie erleben hier Freude und Druck. Das ist eine gute Vorbereitung aufs Leben."

Außerdem: ,,Die Kinder erarbeiten sich hier ihr Projekt. Ohne sie wären wir nicht da. Die Kinder sehen das hier als Lebenserfahrung. Wir vom Team benutzen das Geld, das wir hier einnehmen, um alles zu erhalten. Es ist immer etwas zu renovieren, und die Tiere brauchen Futter."

Außenstehende dächten oftmals, der Circus hätte Geld, weil sie unter anderem auch dafür sorgen, dass der Kurpark rundherum schön gepflegt bleibt. Jedoch: „Wir sind einfach die Deppen, die es machen, beispielsweise die Hecken im Kurpark schneiden, wenn es nötig ist. Aber alles ist gut."

Es ist nicht alles virtuell

Den Kindern lebt das Team so vor, dass es nicht nur um Kommerz geht. Oder um Gewalt. Wie etwa in den sozialen Medien, in denen die Kinder sich viel bewegen wo sie vielleicht auch manche Dummheiten begehen. „Es ist nicht alles virtuell, es gibt auch noch Menschen." Das erleben die Kinder bei Travados. Und: „Es hat Nutzen, was ich hier lerne." Besonders deutlich war diese Erfahrung auch bei einer Benefiz-Veranstaltung für Menschen aus der Ukraine. „Was ich hier lerne, kann ich nutzen, um anderen zu helfen," stellt Melanie Talotti fest.

Geliebt sein

Das diesjährige Programm heißt: Amado. Das bedeutet wörtlich: geliebt. Für Melanie Talotti ist es ein „krasses Thema", weil durch die Pandemie, eine Zeit in der viele zu Hause sehr einsam gewesen seien, viele jetzt erst wieder die Möglichkeit hätten, sich selbst zu finden. Manche Kinder und Jugendliche benötigten psychologische Hilfe. Amado bedeutet „Ihr seid geliebt", aber es will auch darauf hinweisen, dass sich die Kinder und Jugendlichen zuerst selbst lieben müssen. Es gehe nicht so sehr um Liebe im Sinne von Verliebtheit.

Circus sei mehr, als in der Manege stehen und auf Applaus warten. In diesem Jahr jedenfalls ließe sich keiner bei Travados mehr beeindrucken, wenn es hieße: „Wer weiß, ob?", so die Circusleiterin. „Sie gehen mit Euphorie ans Training. Es kommt langsam diese Leichtigkeit zurück, die wir vor zwei Jahren hatten." Das gibt Kraft: „Wir müssen die Kinder am Brennen erhalten", ist Talottis Überzeugung.

Gefragt, ob nicht das hohe Niveau, auf dem der Circus angekommen ist, auch eine Belastung darstellt, antwortet die Circusleiterin: „Wahrscheinlich hat das Publikum einen qualitativ hohen Anspruch. Aber dass wir uns dadurch unter Druck setzen: Nein. Wir arbeiten mit dem Herzen. Das inspiriert einen auch mehr. Man muss sich immer wieder etwas einfallen lassen. Ein Spagat bleibt ein Spagat. Man kann nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, aber wir haben auch die Möglichkeit, ein bisschen zu zaubern mit Licht, mit Kostümen und der Ausstattung." 

Informationen zu den Vorunstellungen gibt es online unter travados.net.