Nicht nur der Chef sah in der Situation, die dem Foulspiel des Mainzers Dominik Kohr an Raphael Guerreiro folgte, eine spielentscheidende Szene in diesem dramatischen, verrückten Liga-Finale. „Vielleicht“, sinnierte Hans-Joachim Watzke, „sind wir mit der Dramaturgie nicht klargekommen. Der verschossene Elfmeter war für mich die entscheidende Szene, auch wenn ich niemandem einen Vorwurf machen will.“
Schiedsrichter Marco Fritz ließ die Situation nach dem Foul an Guerreiro noch weiterlaufen, sehr zum Entsetzen der Dortmunder Bank, wo wild gestikulierend protestiert wurde. Schnell bekam Fritz aus dem Kölner Keller das Signal, sich die Szene noch einmal am Monitor anzuschauen, gut 45 Sekunden und mehreren Kamera-Einstellungen später zeigte der Unparteiische auf den Elfmeterpunkt. Das Foul war unstrittig und im Strafraum, so funktioniert der VAR, so macht er Sinn.
Der Pfiff eröffnete Borussia Dortmund die Chance, nach dem Schock durch das 0:1 schnell wieder ins Spiel zurückzukommen. Doch es sollte anders kommen. Sebastien Haller, mit dem Selbstvertrauen von fünf Treffern und drei Vorbereitungen im Mai im Rücken, trat an, doch sein Schuss kam halbhoch und dazu zu unplatziert – perfekt für Mainz-Keeper Fynn Dahmen, der keine Mühe hatte, den Ball zu parieren. Dem Aufstöhnen auf den Tribünen nach dem 0:1 folgte der nächste dicke Stimmungsdämpfer. Das Signal zur Aufholjagd, das ein schneller Ausgleich sicher gegeben hätte, blieb aus. Und wohl auch Edin Terzic an der Seitenlinie dürfte sich die Frage gestellt haben: Warum schoss Haller, warum schoss nicht Emre Can?
Kein Vorwurf aber nach dem Spiel vom Cheftrainer, kein Vorwurf vom Sportdirektor. „Weil Seb sich sicher gefühlt hatte“, erklärte Terzic in der Pressekonferenz später lapidar. Sebastian Kehl verwies auf die gute Bilanz von Haller in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt. „Er ist ein sicherer Schütze, da hat er alle verwandelt.“ Sechs an der Zahl, darunter auch einen gegen Roman Bürki bei einem 2:2 gegen den BVB im Jahr 2017.
Can wollte schießen
Die Fernsehbilder zeigten später deutlich die Diskussion zwischen Can, der sich sofort den Ball geschnappt hatte, und Haller im Vorfeld der Ausführung. Dass sich Can, nachdem er beim 0:1 Mainz-Torschütze Hanche-Olsen aus den Augen verloren hatte, möglicherweise nicht sicher genug gefühlt hatte, suggerierten diese Bilder nicht. Can hatte im April beim 2:4 in München sicher verwandelt und in der vergangenen Spielzeit bei gleich vier weiteren Elfmetern keine Schwäche gezeigt.
Dass Spieler auf dem Feld untereinander entscheiden, die Verantwortung in andere Hände zu legen, ist keine Seltenheit und geschieht oft auch ohne zusätzliche Absprache mit dem Trainer an der Seitenlinie – allein aufgrund der räumlichen Entfernung zur Szene. Abgesprochen sei der Wechsel des Schützen zu Haller im Vorfeld nicht gewesen, bestätigte Kehl auf Nachfrage. Wie alle anderen war der Fehlschütze nach der Partie untröstlich. Haller, bekräftigte Terzic nach der Partie, habe „eine unglaubliche, eine unfassbare Geschichte geschrieben“ in der nun beendeten Saison, daher „denke ich über diese Szene gerade überhaupt nicht nach.“
Gleichwohl warf der BVB ausgerechnet in dieser Situation das Motto über den Haufen, das den Klub bis ins ultimative Titel-Finale gebracht hatte. Nur nichts verändern, alle Routinen beibehalten wie in einer ganz normalen Woche. Nur war nichts normal an diesem denkwürdigen Samstag im Dortmunder Signal Iduna Park. Auch nicht beim Elfmeter. Dirk Krampe