Der Titel als Deutscher Meister wäre für Borussia Dortmund ein riesiger sportlicher Prestigeerfolg und ein Gewinn für das Image des Klubs. Wirtschaftlich würde der BVB kurz- und mittelfristig davon profitieren, heißt es im Klub. An der Börse ist die Aktie rasant gestiegen.
Sollte Borussia Dortmunds Kapitän Marco Reus tatsächlich am frühen Samstagabend die Meisterschale in die Höhe recken, begleitet von unbändigem schwarzgelben Jubel und Konfettiregen, wäre der sportliche Prestigeerfolg für den Klub riesig. Der erste Titel nach 2012, der zudem die zehnjährige Dominanz des großen Ligarivalen FC Bayern München zumindest unterbrechen würde, brächte für den BVB einen gewaltigen Imagegewinn. Dieser Schub hätte auch enorme Auswirkungen auf die wirtschaftliche Perspektive der Borussia. Nicht sofort, aber mittelfristig.
Auf die Zahlen im laufenden Geschäftsjahr 2022/23, die von die BVB-Geschäftsführung um Hans-Joachim Watzke und Thomas Treß im August vorstellen werden, hätte die Deutsche Meisterschaft noch geringen Einfluss und wäre auch mit Kosten verbunden. Rund sieben Millionen Euro zahlt der BVB nach Informationen der Ruhr Nachrichten an Prämien aus. Ein Großteil davon geht an die Profimannschaft, die gestückelt nach Einsätzen in der Bundesliga-Saison einen satten Zuschlag erhalten. Auch die Mitarbeiter der KGaA profitieren von einem Bonus. Auf der Einnahmeseite stehen zusätzliche Zahlungen wie Prämien von Sponsoren, Partnern und der DFL. Ein dickes Plus in der Bilanz ist dennoch nicht zu erwarten. Doch der kurzfristige Effekt, hört man aus der Konzernzentrale am Rheinlanddamm, sei gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger: Eine Deutsche Meisterschaft würde die Attraktivität des Assets Borussia Dortmund perspektivisch auf allen Ebenen steigern.
Als Beispiele genannt werden die Markenentwicklung von Borussia Dortmund, die man als deutscher Titelträger im In-, vor allem aber auch im Ausland ummünzen könnte. Bei Sponsorings verbessert sich die Verhandlungsposition des BVB durch eine neunte Meisterschaft immens, der Klub wird insgesamt attraktiver, was sich im Merchandising widerspiegeln sollte. Auch die Reichweite von allen Inhalten, die der Klub produziert und über seine mehr als drei Dutzend Kanäle verbreitet, wird sich erhöhen. Erfolg zieht Fans an, das Thema BVB zieht weitere Kreise. Ein netter Nebeneffekt: In der Champions League, die nach wie vor die größten zusätzlichen Geldströme verspricht, landet die Borussia bei der nächsten Auslosung im ersten Topf.
Einen Vorgeschmack auf all diese Aspekte haben die Analysten und Aktionäre bereits seit dem vergangenen Wochenende geliefert. Als der FC Bayern München am vergangenen Samstag mit 1:3 gegen RB Leipzig verlor und sich das Tor zum Titel für den BVB öffnete, gewann Borussia Dortmund gleich doppelt. Nicht nur, dass der Klub durch das eigene 3:0 beim FC Augsburg wieder an die Spitze der Bundesliga-Tabelle rückte - er wurde auch auf einen Schlag um viele Millionen wertvoller. Mit Beginn des Aktienhandels am Montag nach den Spielen schoss der Kurs an der Börse in die Höhe. Die Aussicht auf den Meistertitel ließ den Wert innerhalb von zwei Tagen zeitweise um fast ein Drittel steigen.
Nicht nur für die Fans scheint damit eine Durststrecke zu enden, sondern auch für Anleger. Das Fußballgeschäft hatte unter der Pandemie gelitten wie wenige andere Branchen, leere Stadien und ausgefallene Spiele führten in Dortmund zu mehreren Verlustjahren. Das Defizit belief Euro in sich auf 151 Millionen den drei von Covid-19 betroffenen Jahren. Der BVB-Kurs, zuvor noch auf einem Höhenflug, rutschte Anfang 2020 innerhalb eines Monats um 40 Prozent ab und konnte sich lange nicht ernsthaft erholen. Bis am vergangenen Wochenende der Titel in Reichweite kam.
Um 4,50 Euro pendelte die Aktie am vergangenen Freitag. Gut 110 Millionen der Papiere gibt es, das ganze Unternehmen war an der Börse also knapp 500 Millionen Euro wert. Zwei Handelstage später, am Dienstagabend, erreichte der Kurs in der Spitze 5,85 Euro und die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA war damit rund 645 Millionen Euro wert. Selbst die allgemeine Börsenschwäche am Mittwoch änderte daran nur wenig.
145 Millionen Euro mehr?
Ist also der Titel des Deutschen Meisters 145 Millionen Euro wert? Da bin ich nicht sicher", sagt Alexander Langhorst vom Analysehaus GSC Research. Zwar komme mit dem Titel automatisch ein weiteres Spiel um den DFL Supercup samt Prämien hinzu, auch Fanartikel verkauften sich besser und möglicherweise enthielten die Sponsorenverträge Sonderzahlungen bei Titelgewinn. Aber dreistellige Millionenbeträge mache das wohl kaum aus. Entscheidend für Borussia Dortmund sei die Teilnahme in der Champions League, und dafür muss man nicht Meister werden.
„Viele haben wohl gedacht: Da können wir ja mal aufspringen", sagt Langhorst und vermutet neben Fans vor allem Trader am Werk, also kurzfristig orientierte Anleger, die auf positiven „Newsflow" in den nächsten Tagen hoffen. Langhorst und seine Kollegen setzen darauf allerdings nicht. Sie haben die Aktie zwar im März zum Kauf empfohlen, aber da war sie deutlich billiger zu haben. Das damalige Kursziel von 5,50 Euro ist mittlerweile erreicht. Er würde „kein Neu-Engagement mehr auf diesem Niveau" empfehlen.
Ohnehin ist ein Fußballverein eine sehr spezielle Investition. Das hat nicht nur Investor Lars Windhorst bei Hertha BSC gelernt. Ganz ohne fußballerische Fachkenntnis gehe es nicht, meint Langhorst, denn der wichtigste Werttreiber steht auf dem Platz. Wie viel Gewinn Borussia Dortmund im Geschäftsjahr ausweist es läuft parallel zur Saison bis zum 30. Juni – hängt nicht zuletzt von der Entwicklung einzelner Spieler ab. Transfers sind eine zentrale Ertragsquelle im Geschäftsprinzip des BVB.
Günstig einkaufen, teuer verkaufen - von „Spielerveredelung" spricht Langhorst. Gelungen ist dies zuletzt zum Beispiel bei Erling Haaland, der sich wie seine Mitspieler als „immaterieller Vermögenswert" in der Bilanz ihres Klubs wiederfindet. Der Transfer zu Manchester City ist vor allem dafür verantwortlich, dass der BVB im Geschäftsjahr 2021/22 rund 105 Millionen Euro aus Spielerverkäufen einnahm. Abzuziehen sind allerdings „Transferkosten" von 24 Millionen Euro, möglicherweise für diverse Berater. So blieb ein „Netto-Transferentgelt" von 81 Millionen Euro. In der Bilanz stehen die Spieler aber meist mit dem, was sie einst gekostet haben, möglicherweise schon gemindert um Abschreibungen. In diesem Fall waren das 19 Millionen Euro ,,Restbuchwert". Unterm Strich hat der BVB an den Transfers also knapp 62 Millionen Euro verdient.
Das war auch bitter nötig, denn der Rest des Geschäfts hat sich noch nicht völlig von der Pandemie erholt. Selbst im laufenden Jahr, der möglichen Meistersaison, wird der Profibereich von Borussia Dortmund bei erwarteten gut 400 Millionen Euro transferbereinigtem Umsatz wohl nur knapp in die Gewinnzone kommen.
So hoffen Langhorst und sicher viele Anleger auf die nächste ,,Spielerveredelung“: Ein Transfer von BVB-Engländer Jude Bellingham könnte weit mehr als 100 Millionen Euro einbringen. Für die Bilanz 2022/23 käme der Deal aber wohl zu spät.
Von Jürgen Koers und Stefan Winter