Endlich wieder Derby vor voller Hütte: Als Moukoko das Stadion zum Kochen brachte
Mehr als drei Jahre mussten BVB-Fans wieder auf ein Derby-Heimspiel im vollbesetzten Signal Iduna Park warten. Im September sorgte das größte BVB-Sturmtalent der vergangenen Jahre für besondere Emotionen.
Zwei Derbysiege während der Corona-Zeit mussten Borussia Dortmunds Anhänger in der eigenen Wohnung miterleben. Kein Kneipen-Erlebnis, kein Rudelgucken, kein Stadiongang: Während der Pandemie fühlte sich alles anders an, auch Siege gegen den ewigen königsblauen Rivalen.
Nach mehr als drei Jahren - Schalke verbrachte zudem ja auch noch ein Jahr in der 2. Bundesliga - war es im September 2022 endlich wieder so weit: Heimspiel gegen S04, ausverkaufter Signal Iduna Park. Endlich wieder richtig Derby!
Große Emotionen, große Erwartungen - das Spiel gegen einen extrem defensiv, fast destruktiv agierenden Gegner aber stellte alle schwarzgelben Anhänger vor eine große Geduldsprobe. Es war ein zähes Anlaufen der Borussia, die zwar 15 Torschüsse vor dem erlösenden 1:0 abgab, lange aber nach dem richtiges Rezept suchte. Doch beharrlich beackerte der BVB die Schalker Defensive, die sich bis in die Schlussphase aller Angriffe erwehren konnte, dann aber einmal nicht gut sortiert war: Die perfekte Flanke aus dem Halbfeld segelte von Marius Wolf zum eingewechselten Youssoufa Moukoko, der sich hinter Schalkes Yoshida in die Luft schraubte und aus kurzer Distanz ins Tor köpfte.
Ein Tor, das nicht nur auf dem Rasen für ein Beben sorgte. So laut, so emotional, so schwarzgelb: Der Signal Iduna Park erlebte an diesem 17. September seine nächste Ausnahmesituation.
Dortmunds Sieg war am Ende hochverdient, hatte aber einen bitteren Beigeschmack. Schon nach gut einer halben Stunde verabschiedeten die Fans Marco Reus mit aufmunterndem Applaus und Sprechchören. Der BVB-Kapitän musste mit einer Trage vom Feld gebracht werden, nachdem er ohne Gegnereinwirkung böse umknickte.
Es sollte die nächste lange Zwangspause für den 33-Jährigen werden. Vier Wochen nach dem Außenbandriss versuchte Reus in Berlin ein Comeback, wenige Wochen danach scheiterte ein zweiter Versuch. Im Prinzip war das Fußballjahr für Reus nach diesem Derbysieg schon beendet.
Dirk Krampe
Mit dem BVB und Blaulicht durch den Großstadtdschungel
Mit Vollgas durch Hanoi - wie ich in der Kolonne mit dem BVB-Bus bei Blaulicht und Sirenen um mein Leben fürchten musste.
Eins vorab: Ich bin kein ängstlicher Typ. Achterbahnen, Sprünge in die Tiefe, Action - das halten meine Nerven in aller Regel sehr gut aus. Adrenalin ist ein guter alter Bekannter, wenn auch eher aus dem Ausdauersport denn bei Krawall und Remmidemmi. Aber dann kam der Moment, wo ich die Augen schließen musste. Die Muskeln maximal angespannt, die Arme umfassten im Bus die Griffe am Sitz vor mir, die Ohren stellten sich schon auf den Knall ein.
Wir sind in Hanoi, letzte Station von Borussia Dortmunds PR-Reise nach Südostasien im vergangenen November. Eine Stadt mit einem chaotischen Straßenverkehr, dass sich Ameisen über einen Vergleich ihres Haufens mit dem Durcheinander auf den Straßen der Hauptstadt beklagen dürften. Welche inneren Gesetzmäßigkeiten hier gelten für abertausende Rollerfahrer, Rikschas, Fußgänger und Kleinwagen? Es hat sich mir nicht erschlossen.
Zum Abschluss der PR-Tour spielte der BVB im Nationalstadion gegen Vietnam, dann ging es ab die Post in die bereitstehenden Busse. Der Flieger wartet, Eile tut Not. Vor der Kolonne spannt sich eine Motorradstaffel ein, deren Sirenen selbst das Dauerhupen der Motorroller übertönt. Eine schmale Gasse bildet sich. Manchmal. Die Busfahrer geben Gas. Ohne Rücksicht auf Verluste. Rasen durch den Gegenverkehr. 50 Meter vor der nächsten Ampel - Rot, aber egal! - fährt von rechts der Bus in die Kreuzung ein. Links ist kein Platz, rechts auch nicht. Die Sirenen schrillen noch lauter. Hupen, Dröhnen. Gleich knallt's. Kaum noch zu verhindern. Mit schwitzigen Händen klammere ich mich fest. Halb fasziniert von diesem Hasardeur am Steuer, halb in Angst um die Gesundheit. Augen zu ... und durch!
Wie hauchdünn der Unfall vermieden werden konnte, habe ich später auf einem Video gesehen. Ein Kollege zitterte weniger, hielt die Momente fest. Es gibt diese Szene so ähnlich im Film ,,Speed", der in den 90er-Jahren Sandra Bullock populär machte und actionreichen Nervenkitzel neu definierte. Mein „Speed"-Moment jedenfalls gehört zu den eindrücklichsten Erlebnissen der Saison, die nichts mit Fußball zu tun hatten.
Jürgen Koers
Reflektiert, offen und authentisch: Mit Julian Brandt in der Mixed Zone
Nach Abpfiff bekommen wir Reporter in der Mixed Zone von den BVB-Profis häufig erwartbare Antworten auf unsere Fragen. Julian Brandt bildet hierbei eine wohltuende Ausnahme. An einem kalten Winterabend kommt er nach dem Hertha-Heimspiel ins Plaudern und versetzt für uns sogar den Fahrdienst.
Die Momente in der Mixed Zone nach einem BVB-Spiel sind meist weniger spektakulär, als man das als Fußball-Fan gemeinhin annehmen dürfte. Nach Abpfiff finden wir Reporter uns dort ein, um noch Stimmen der Spieler einzufangen. Natürlich erhoffen wir uns immer ein paar starke Sätze, ein paar kluge Gedanken oder ehrliche Analysen von den BVB-Profis. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus.
Viele Statements der Spieler bleiben oberflächlich und inhaltlich überschaubar. Eine wohltuende Ausnahme ist in dieser Hinsicht Julian Brandt. Wann immer er uns Reportern gegenübertritt, bietet das einen echten Mehrwert.
So wie Mitte Februar nach dem 4:1-Heimsieg über Hertha BSC. Brandt hätte an diesem Abend all die erwartbaren Floskeln sagen können, die Fußballer nach Spielen gerne zum Besten geben. Aber Brandt nimmt sich Zeit für seine Antworten. Er wägt seine Gedanken sorgsam ab, lässt auch Zwischentöne erkennen. Bei manchen Spielern fallen die Antworten kürzer aus als die Fragen von uns Reportern. Julian Brandt aber zeigt sich authentisch und reflektiert. Seine Worte haben Substanz.
„Wir sind momentan vielen Gefahren momentan ausgesetzt. Wir kriegen gerade extrem viel Lob. Für jeden Mensch ist es normal, sich irgendwann auf diesem Lob auszuruhen. Davon müssen wir uns fernhalten", sagt der Blondschopf. Brandt redet und redet, erklärt Zusammenhänge und skizziert die Entwicklung der Mannschaft.
Der Fahrdienst, der die BVB-Profis nach Spielende zu ihren Autos bringt, wird ungeduldig. Er hupt. Julian Brandt lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er hat noch nicht alles gesagt, was er loswerden möchte. „Ihr könnt fahren, ich gehe zu Fuß“, ruft Brandt dem Fahrer entgegen. Und genauso kommt es. Als er einige Minuten später fertig ist, verabschiedet er sich von uns und schlendert von dannen. Genug geredet. Feierabend.
Cedric Gebhardt
Terzic und ein Fan: Eine Umarmung voller Emotionen
Borussia Dortmund versucht seit zehn Jahren erfolglos, dem FC Bayern München mal wieder in die Parade zu fahren. Jetzt steht der temporäre Machtwechsel kurz bevor. Nach dem Sieg in Augsburg entsteht ein ganz besonderes Foto.
Wir schreiben Sonntag, den 21. Mai 2023. Borussia Dortmund hat soeben mit einem 3:0 beim FC Augsburg die Tabellenführung in der Bundesliga zurückerobert. Die von meinem Kollegen Dirk Krampe im Januar in Marbella getätigte Prophezeiung, der BVB würde die Bayern ja sowieso noch abfangen (hat nicht mal seine Frau geglaubt), könnte mit einem Sieg gegen Mainz also tatsächlich Realität werden.
Gegen 21 Uhr mache ich mich von der Redaktion in der Dortmunder Innenstadt aus auf den Weg zu meinem gefühlten Zweitwohnsitz am Dortmunder Flughafen. Der BVB fliegt ab, der BVB kommt zurück, Florian Groeger ist schon da. An diesem Abend ist die Atmosphäre jedoch völlig anders als gewohnt. Bereits 30 Minuten vor der Ankunft haben sich rund 200 Fans rund um den Mannschaftsbus, der die Spieler später zum Trainingsgelände nach Brackel bringen wird, versammelt. Es werden Titelchöre und Wechselgesänge angestimmt. „Wer wird Deutscher Meister?" Sie wissen schon.
Es knistert. Und als die ersten Spieler am anderen Ende der Ankunftshalle erspäht werden, kocht die Stimmung hoch. Julian Brandt, Marco Reus und Karim Adeyemi schauen etwas verdutzt zur Seite, Niklas Süle legt die letzten Meter klatschend zurück und ist irgendwie schon in Feierlaune. Marius Wolf kann die Kollision mit einem Kamerateam so gerade noch verhindern.
Und dann kommt der Mann, auf den die schwarzgelben Anhänger am meisten gewartet haben: Edin Terzic. Wieder ertönen laute Sprechchöre. Ein Junge in einem weißen Pullover hat kurzerhand die Absperrung hinter sich gelassen und stürmt auf Borussia Dortmunds Trainer zu. Terzic steht für ein Foto bereit, will gerade weitergehen, da passiert es. Der Junge fällt ihm um den Hals, ruft immer wieder laut "Danke". Terzic weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Er wirkt emotional überfordert. Durchaus verständlich. Schließlich fehlen noch drei Punkte bis zur großen Fete. Das Bild zu dieser Szene ist natürlich im Kasten. Es ist ein Foto voller Emotionen. Und ein Vorgeschmack darauf, was am Samstag und Sonntag in Dortmund passieren dürfte, wenn der Titel Realität geworden ist.
Florian Groeger
Emotionale Haller-Reise: Von der Diagnose, über das Comeback bis zum Tor
Die niederschmetternde Krebsdiagnose, ein schnelles Comeback, ein Treffer am Weltkrebstag und zurück zu alter Form: eine emotionale Reporter-Reise mit Sebastien Haller.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie mein Kollege Dirk Krampe und ich abends auf der Terrasse eines kleinen Restaurants im schweizerischen Bad Ragaz saßen, als plötzlich mein Handy piepte. Eine Push-Nachricht vom BVB: Bei Stürmer Sebastien Haller wurde ein Hodentumor entdeckt, der Ivorer ist sofort aus dem Trainingslager abgereist.
Schockstarre. Wir beide konnten nicht glauben, was dort stand. Und dennoch mussten wir sofort in den Arbeitsmodus switchen. Das ist unser Job. Doch diese niederschmetternde Diagnose des Stürmers, der einen Tag zuvor nach dem Training noch gut gelaunt mit einer dicken Musikbox auf der Schulter an mir vorbeigegangen war und freundlich gegrüßt hatte, hat mich tief betroffen gemacht.
Ich bin ganz ehrlich: Die Artikel, in denen es um sportliche Auswirkungen und mögliche Alternativen für Borussia Dortmund gehen sollten und vermutlich aufgrund des Fußball-Businesses auch mussten, sie sind mir nicht leicht von der Hand gegangen.
Umso schöner war es, dass ich im Laufe dieser Saison noch so viele positive, aufmunternde und bewundernswerte Geschichten über Sebastien Haller aufschreiben durfte. Seine Rückkehr zur Leistungsdiagnostik, das erste Training in Marbella, sein Comeback gegen Düsseldorf, seine ersten Tore gegen den FC Basel, das Pflichtspieldebüt gegen Augsburg, sein erster Pflichtspieltreffer gegen Freiburg - bei all diesen Momenten war ich live dabei und habe in jedem einzelnen ähnlich emotional reagiert wie bei der schlimmen Diagnose Mitte Juli. Natürlich mit völlig anderen Gefühlen in mir.
Unabhängig davon, was an diesem Wochenende in und um Dortmund passiert, ob Borussia Dortmund nach 2012 wieder die Meisterschale holt, ob 500.000 Menschen den Borsigplatz zum Beben bringen oder sonst was - für mich hat Sebastien Haller schon jetzt die Geschichte der Saison geschrieben. Mit welchem Willen und welchem Ehrgeiz er dieser Krankheit gegenübergetreten ist, dabei immer positiv war, nicht den Hauch hat erkennen lassen, wie schwer all das für ihn war, ist außergewöhnlich. Es war eine emotionale Reporter-Reise. Am Samstag kann sie noch emotionaler werden.
Kevin Pinnow
Dank Schützenhilfe aus Mainz: Magische Momente schon vor dem Anpfiff
Dieser Samstag, 22. April 2023, 29. Spieltag, hatte 2011er-Vibes. Es war kurz vor 17 Uhr. Der Regen prasselte auf die Fans nieder, die ins Dortmunder Stadion zum Abendspiel gegen Eintracht Frankfurt strömten. Sie wussten noch nicht, was dieser Tag noch bringen sollte.
Die Bayern, so viel war bis dahin bekannt, führten 1:0 beim 1. FSV Mainz 05. Es schien so zu laufen, wie es in den vergangenen zehn Jahren lief: Am Ende machen es die Bayern. Die Meisterchance, so die einhellige Meinung unter den BVB-Fans, wurde in Spielen wie beim VfB Stuttgart (3:3) oder im Derby auf Schalke (2:2) verschenkt. Doch die Hoffnung kam zurück, sie trug den Namen Ludovic Ajorque. Wahrscheinlich den wenigsten bekannt, doch das Tor des Franzosen in Diensten der Mainzer zum 1:1 sorgte für einen besonderen Augenblick.
Wegen des rund ums Stadion bei Heimspielen bescheidenden Empfangs tröpfelte die frohe Kunde aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt nur langsam in die Sport-Apps der BVB-Fans. Vereinzelte Jubelschreie führten zu spontanen Zusammenkünften. ,,Wat is? Tor für Mainz?", so die in diesem Augenblick meistgestellte Frage in Dortmund. Auf ein „Jaaaa“, folgten viele weitere „Jaaaas", die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Da Leandro Barreiro und Aarón Martín innerhalb von sechs Minuten gar auf 3:1 erhöhten, kochte die Stimmung bereits vor dem Anpfiff rund um den Signal Iduna Park hoch. Jeder wusste: Dank der Mainzer Steilvorlage bedeutet ein Sieg gegen Frankfurt das Erklimmen der Tabellenspitze.
Entsprechend euphorisch war auch die Stimmung im Dortmunder Fußballtempel. Schon lange vor dem Anpfiff waberten die Gesänge durchs Stadion. Die Mannschaft ließ sich von der Euphorie anstecken, spielte sich in einen Rausch und entschied schon in den ersten 45 Minuten mit einer 3:0-Pausenführung die Partie. Die Südtribüne hüpfte kollektiv, sogar die bisweilen etwas trägen Fans auf den Sitzplätzen ließen sich mitreißen, sangen und klatschten voller Inbrunst.
Und dennoch: Bei dem Spielverlauf war diese Stimmung erwartbar. Völlig unerwartet kam dagegen der Mainzer Sieg. Wie 2011 die Schützenhilfe zur ersten Klopp-Meisterschaft des 1. FC Köln gegen den damaligen Titelrivalen Bayer Leverkusen („Mach mich hoch"). Deshalb wohnte den spontanen Jubelfeiern vor der Partie ein ganz besonderer Zauber inne.
Martin Bytomski